Stellungnahme des Kreisnaturschutzbeauftragten Bernd Koop zur Bebauung Steinwarder

B-Plan Stadt Heiligenhafen, Nr. 95, Steinwarder

Hinweise aus naturfachlicher Sicht

Dipl. Biol. Bernd Koop

 

Allgemeine Bemerkung: Eine umfassende Stellungnahme zum Planwerk ist nicht möglich, wenn die Ergebnisse einer aktuellen Brutvogelkartierung oder einer Artenschurzrechtlichen Prüfung nicht vorliegen.

Für diese hier verfasste Stellungnahme wurde am 29.07.2020 eine Ortsbegehung durchgeführt. Die hier verfassten Anmerkungen sind daher nicht vollständig.

 

Ergebnis: Der Wald beherbergt eine aus Vogelschutzsicht herausragende Zusammensetzung sowohl hinsichtlich der Pflanzenarten als auch der Strukturen.

 

Die Mischung aus Lichtgehölzen (Eschen, Weiden), Beerensträuchern (Holunder, Sanddorn) und Röhricht und Wasser, verbunden mit einem reich strukturierten Aufbau unterschiedlichster Wuchshöhe ist in Ostholstein in unmittelbarer Küstennähe selten bzw. nur sehr kleinräumig vorhanden.

 

Aus Südschweden (Falsterbo, Ausgangspunkt der international bedeutsamen Vogelzugroute „Vogelfluglinie“, auf der auch Heiligenhafen liegt) ist mir bekannt, das solche Gehölze eine herausragende Funktion als Rast- und Nahrungsgebiet für ziehende Singvögel, insbesondere Insektenfresser und Beerenverzehrer haben. Nur beim Vorhandensein solcher Strukturen und Gehölze ist ein sehr reiches Nahrungsangebot in Form von Insekten und/oder Beeren vorhanden.

 

Die meisten insektivoren oder fruktivoren Singvögel ziehen nachts und suchen morgens in Küstennähe geeignete Wälder zur Rast und Nahrungssuche auf. Unter den in Mitteleuropa häufigen SW-Wetterlagen ziehen die Vögel niedrig gegen den Wind und nutzen solche küstennahen Rastgebiete in großer Zahl, Stetigkeit und Dichte.

 

Diese Funktion macht den besonderen Wert des Wäldchens aus. Diese Funktion ist nicht durch eine Brutbestandserfassung zu ersetzen, denn die Fragestellung ist nicht vergleichbar, die Funktionen völlig verschieden.

 

Zu erwarten sind hohe Anzahlen folgender Arten:

 

Zaunkönig Troglodytes troglodytes

Rotkehlchen Erithracus rubecula

Braunkehlchen Saxicola rubetra

Blaukehlchen Luscinia svecica

Gartenrotschwanz Phoenicurus phoenicurus

Trauerschnäpper Ficedula hypoleuca

Grauschnäpper Muscicapa striata

Drosseln Turdus spec.

Laubsänger Phylloscopus spec.

Gelbspötter Hippolais icterina

Rohrsänger Acrocephalus spec.

Grasmücken Sylvia spec.

Goldhähnchen Regulus spec..

 

Unter diesen Arten sind zwar nicht zwangsläufig seltene, wohl aber handelt es sich um besonders geschützte Vogelarten.

 

Am Tage der Ortsbegehung mit starkem Wind (W5-6) und Schauern war zu beobachten,

dass bis zu 300 Rauch- und  Uferschwalben hier Nahrung suchten: Die vorhandenen Gehölze unterschiedlicher Wuchshöhe boten kleinräumig windgeschützte Bereiche, in denen Insektenjagd stattfinden konnte. Zeitgleich waren im bebauten Bereich Richtung Graswarder fast keine Schwalben zu beobachten, denn dieser Bereich bot keine Nahrung (bebauter Bereich) oder kaum Windschutz (Graswarder). Im Laufe der Beobachtungszeit erschienen laufend neue Schwalbentrupps, einige Vögel zogen langsam weiter. Damit hat bereits diese eine Begehung den strukturell-funktionellen allgemeinen Naturschutzwert der Fläche verdeutlicht.

 

§ 44, Abs. 1 BNatschG verbietet die Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten der wildlebenden Tiere der besonders geschützten Arten, explizit sie zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.

 

Eine Waldumwandlung kommt einer Zerstörung gleich, auch wenn einer Ersatzmaßnahme im Verhältnis 1:2 vorgesehen bzw. von der Forstbehörde vorgeschrieben ist. Begründung: Bis eine neue, funktionell vergleichbare Struktur vorhanden ist, vergehen ca. 20-30 Jahre. Eine Neuaufforstung ist damit kein Ersatz oder Ausgleich der zerstörten Strukturen, zumal im Umfeld vergleichbare Gehölze kaum vorhanden sind bzw. die wenigen Strukturen/Gehölze, die auf diesem international bedeutsamen Zugweg noch vorhanden sind, werden bereits mutmaßlich bis an die Kapazitätsgrenze genutzt. Auf Fehmarn gibt es z.B. entlang der Nord- und Westküste überwiegend nahrungsarme Sitkafichtenbestände mit wenig Holunder/Weißdorn. Daher sind Rastbestände insektivorer oder fruktivorer Singvögel (insbesondere Grasmücken, Laubsänger, Rotschwänze, Fliegenschnäpper) auf Fehmarn zumeist gering oder Ansammlungen halten sich nur sehr kurzzeitig auf.

 

Im Raum Großenbrode mit seiner ausgeräumten Agrarlandschaft finden sich noch weniger geeignete Strukturen.

 

Eine Beseitigung des Waldstücks stellt somit eine erhebliche Verschlechterung der örtlichen Lebensraumausstattung dar. Ein funktioneller Ausgleich ist nicht oder nur über einen langen Zeitraum möglich, daher lehnt der NABU das Vorhaben an dieser Stelle ab.

 

Begründung: Die von der Forstbehörde in Aussicht gestellte Erlaubnis zur Umwandlung erfolgte rein nach numerischen Kriterien, der flächenbezogenen Bilanzierung, berücksichtigt aber nicht die funktionale Bedeutung des Gehölzes.

 

Es ist zu bedenken, dass entgegen der potentiell natürlichen Vegetation, die an der Ostseeküste Dünenwälder und auf Mineralboden (windbedingt) lückigen lichten Wald erwarten lässt, fast ausschließlich Bebauung oder Ackerland an die Küste grenzen. Großflächig fehlen daher – insbesondere auf der Halbinsel Wagrien – küstennahe Wälder. Somit ist großflächig die Funktion als Rast-/Ruhestätte für ziehende Singvögel nicht mehr oder nur in kleine Resten vorhanden.

 

Eine solche Rastvogelerfassung ist in hinreichender Erfassungstiefe  (mind. in 2 tägigem Abstand oder täglich im Zeitraum 24.08.-10.09. und 24.09. bis 15.010) nachzuholen.

 

Begründung: Starke Zugtage sind nicht vorhersehbar. Längere Abstände zwischen 2 Tagen können dazu führen, dass starke Zugtage mit entsprechendem Rastvorkommen übersehen werden.

 

Brutbestände: Solange die aktuelle Brutbestandserfassung nicht vorliegt, müssen Bestandsdaten der zurückliegenden Jahre zugrunde gelegt werden. Der Raum Heiligenhafen gehörte bis vor wenigen Jahren zu den regelmäßig besiedelten Gebieten für den Karmingimpel Carpodacus erythrinus und  den Sprosser Luscinia luscinia. Aktuelle Vorkommen beider Arten sind nicht bekannt, was aber v.a. aufgrund einer nicht hinreichenden Beobachtungsintensität nicht gesichert ist (s. Berndt et al. 2003, Koop & Berndt 2014, Vogelwelt Schleswig-Holsteins, Bd. 5 und Bd. 7).

 

Mit dem Bau der Hinterlandanbindung der Fehmarnbeltquerung wird das größte zusammenhängende Brutgebiet des Karmingimpels von der Sundbrückenrampe bis Großenbrode, 12-16 Bp. allj. bei einem Gesamtbestand von ca. 40 Bp. in Schleswig-Holstein großenteils durch Flächeninanspruchnahme zerstört. Dann bekommen die Gehölze in/um Heiligenhafen eine neue Funktion. Mit der Beseitigung des Wäldchens im B-Plangebiet Nr. 95 wird damit das regionale Aussterben des Karmingimpels beschleunigt bzw. verstärkt.

 

Diese Eingriffssummation ist offenbar nicht berücksichtigt.

 

Forderung des NABU, falls ein Verzicht auf das Bauvorhaben nicht infrage kommt: Vor Verwirklichung des Bauvorhabens muss daher zunächst der funktionale Ausgleich für die Waldumwandlung in Küstennähe erfolgen. Der notwendige Vorlauf umfasst naturfachlich betrachtet mindestens 10-15 Jahre, nämlich solange, bis sich der Strukturreichtum und das Nahrungsangebot entwickeln, den das jetzige Gehölz aufweist.


Weitere Aspekte:

Aus Gründen des Hochwasserschutzes sollen ab 2021 Abstände zur Küste von 150 m eingehalten werden. Lediglich eine Übergangsregelung des § 65 LNatschG erlaubt einen Abstand von nur 100 m bis zum 22.06.2021.

 

Diese Regelung lädt geradezu ein zu einer rechtlichen „Trickserei“: Da das Bauvorhaben nicht vor diesem Termin realisiert wird/werden kann, darf diese Übergangsregelung keine Anwendung finden, sondern es ist der zukünftig ab 23.06.2021 gültige Mindestabstand von 150 m einzuhalten.

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