Eine Touristin, die am 27. Mai zur naturkundlichen Führung auf dem Graswarder kam, berichtet von einem Vorfall an der Südpromenade am Binnensee: Am Rande eines kleinen Schilfgürtels brütet ein Schwan, dessen Nest durch einen kleinen Zaun vom Gehweg getrennt wurde. Trotzdem umgehen Passanten die Absperrung, um den Schwan möglichst nah fotografieren zu können. Die Touristin fordert eine Person auf, doch mehr Respekt vor dem Tier zu zeigen. Darauf erhält sie sinngemäß zur Antwort: „Es gibt hier sowieso schon zu viele Naturschützer. Die müsste man alle vergasen“.
Wer so eine Aussage macht, gehört möglicherweise auch zu dem Personenkreis, der in diesen Wochen fast tagtäglich die Stromzufuhr zu Elektrozäunen auf dem Graswarder mutwillig unterbricht. Damit öffnet er/sie Prädatoren Tür und Tor. Nachdem sich im vergangenen Jahr Jäger aus dem Heiligenhafener Umfeld aus der Bejagung von Füchsen verabschiedet hatten (seit April 2013 wurde die Jagd auf Füchse und Marder eingestellt), versucht der NABU mit Unterstützung des Umweltministerium in Kiel sowie der Unteren Naturschutzbehörde des Kreise Ostholsteins, Seevögel im Naturschutzgebiet Graswarder durch Elektro-Flechtzäune (Weideäune) vor dem Zugriff von Mardern und Füchsen zu schützen. Das geschah mit erheblichen finanziellen Aufwendungen von der öffentlichen Hand (Steuergelder) als auch u.a. mit Hilfe von vielen Arbeitsstunden seitens des NABU. Ca. 1200 laufende Meter Flechtzaun wurden an verschiedenen Stellen errichtet, um das Eindringen von Mardern und Füchsen in die Seevogelkolonien zu minimieren. Leider ohne Erfolg. Denn bereits kurz nach der Erstellung der Zäune wurden sie immer wieder manipuliert, zerstört oder außer Funktion gesetzt. Nachdem auch der etwa 680 Meter lange Querzaun hinter dem Beobachtungsturm ausgeschaltet wurde, sind nahezu alle Nester der Seevögel im Osten des NSG ausgeraubt worden.
Die äußerst seltenen Säbelschnäbler, die Mitte April noch in ansehnlichen Beständen aus Ihren Überwinterungsgebieten eingeflogen waren, haben das Gebiet bereits Küstenseeschwalben, die hier auf dem Graswarder noch ihren letzten beachtenswerten Bestand hatten, haben ihr Brutgeschäft aufgegeben; von etwa 45 Brutpaaren der Graugänse haben nur drei Paare Erfolg gehabt, sind aber bereits aus dem Gebiet abgezogen; die wegen ihrer Daunen berühmten Eiderenten haben gar nicht erst mit der Brut begonnen oder die, die bereits Eier gelegt hatten, wurden vom Fuchs getötet. Die im Osten des NSG bestehenden Sturmmöwenkolonien sind nahezu aufgerieben. Von den einstmals etwa 5000 Brutpaaren (1965) im gesamten Graswardergebiet haben 2014 noch ganze 350 Paare mit der Brut begonnen. 2013 waren es noch etwa 600 Paare. Bei den auf der Roten Liste stehenden Sandregenpfeifern zeichnet sich ebenfalls ein Totalverlust ab.
Der Rückgang der anderen Vogelarten wird nach einem genauen Monitoring erst Ende Juni feststehen. Die erste flächendeckende Erfassung Mitte Mai lässt katastrophale Ergebnisse erwarten, erschreckend und tief enttäuschend. Der NABU, der einst im Auftrage des Umweltministeriumsdie Betreuung übertragen bekam,muss sich nunmehr ernsthaft fragen, wie sich die Erhaltung und Entwicklung unserer Küstenvogelwelt überhaupt noch bewerkstelligen lässt. Der Graswarder war an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste bislang immer noch eine der letzten bedeutenden Refugien für Seevögel. Diese Auszeichnung kann der Graswarder nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.
Die NABU-Gruppe Heiligenhafen hat sich mit großem Engagement mehr als 40 Jahre der Erhaltung des Graswarders gewidmet. Die Entwicklung ist depri-mierend. Die Gründe dafür liegen allein bei uns Menschen, denen vielfach das Verständnis für eine lebenswerte Umwelt verloren gegangen ist. Dazu zählt auch der Umstand, dass aus verschieden Gründen, die an dieser Stelle nicht erläutert werden können, Greifsäugern wie dem Fuchs außerhalb des Graswarders die Nahrungsbasis entzogen wurde. Einen so reich „gedeckten Tisch“ wie hier gibt es in der Umgebung von Heiligenhafen nicht mehr. Wie lange das noch der Fall sein wird, kann an einer Hand abgelesen werden.
Und auch das sollte man wissen: Ein Fuchs läuft in einer Nacht schon mal schnell bis zu 15 Kilometer. Da im NSG kein Fuchsbau nachgewiesen werden konnte, handelt es sich also um einen Bestand aus den umliegenden Revieren.
Der Druck auf die Vögel ist als sehr groß geworden. In absehbarer Zeit werden Vögel in diesem Naturschutzgebiet zahlen- und artenmäßig keine Rolle mehr spielen. Ein Umstand, der die Stadt Heiligenhafen um eine der wenigen Attraktionen ärmer macht. Altfüchse laufen mittlerweile am hellichten Tag direkt an Besuchern bei den naturkundlichen Führungen mit Beute vorbei. Das mag zu Denken geben.
Unterstützung bei der Feststellung oder der Ergreifung des oder der Täter können leidervon der örtlichen Polizei sowie der Umweltpolizei des Kreises Ostholstein aus Personalmangel, wie man uns mitteilte, nicht erwartet werden. Anzeige erstattete der NABU trotzdem. Der Schaden für die Vogelwelt ist schon jetzt riesig.
Ein weiterer Umstand entstand in diesen Tagen durch die Zerstörung der Zäune durch die gleichen Unbekannten.
Die Mitte Mai aufgetriebenen Rinder eines Landwirtes aus Neuratjensdorf sollen offensichtlich einen größtmöglichen Wirkungskreis haben und in ihrem Flächen-anspruch nicht behindert werden.Die Rinder sollten aber ganz gezielt als „Biotopmanager“ im Ostteil des Gebietes eingesetzt werden. Das ist bei dem momentaren Zustand stromloser Zäune nicht mehr möglich. Um dem oder den Tätern auf die Spur zu kommen, werden von nun an nächtliche Kontrollgänge stattfinden. Die Bevölkerung wird gebeten, den NABU (Naturschutzbund Deutschland) bei seinen Bemühungen zur Erhaltung dieses einmaligen Schutzgebietes zu unterstützen. Eine Belohnung ist ausgesetzt.
Klaus Dürkop
NABU Heiligenhafen, 29.Mai 2014
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